In der letzten BachVesper unter Leitung von Clemens Bosselmann predigte in der vollbesetzten Wiesbadener Marktkirche Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz vor mehreren hundert Menschen, darunter auch Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, Landeskirchenmusikdirektor Stefan Küchler, Dekanin Arami Neumann sowie viele Unterstützer:innen, ehemalige Mitwirkende, Freunde und Förderer des Projekts. Auch die Gründerväter der BachVespern, Martin Lutz und Michael Graf Münster, waren gekommen und ließen sich feiern.
“Sie haben mit diesem großartigen Projekt BachVespern der Stadtgesellschaft ein riesengroßes Geschenk gemacht”, sagte OB Gert-Uwe Mende und dankte den Initiatoren: "Das Projekt, mit dem sie so viele Menschen erfreut und beseelt haben, ist jetzt nicht zu Ende gegangen - nein: Sie haben es vollendet."
Kirchenpäsidentin Tietz erklärte in ihrer Predigt: “Die kraftvollen Strophen von Martin Luthers berühmten Lied ,Ein feste Burg ist unser Gott' wirken fast etwas martialisch und militaristisch. Als würde Luther mit der Beschreibung Gottes als „Wehr und Waffen“ zu Gewalt aufrufen, weil sich Gottes Wahrheit nur mit Gewalt durchsetzen lässt. Aber es geht in seinem Lied und in der das Lied aufgreifenden Bachkantate nicht um die Verherrlichung von Gewalt, sondern um die Bekämpfung von Gewalt.”
Sie hoffe, so Tietz, in den Kriegen unserer Zeit, darauf, dass Gottes Geist die Herzen der Menschen berühre: “Durch Gottes Geist würden sie endlich wieder wahrnehmen, dass auf allen Seiten des kriegerischen Konfliktes Menschen stehen - mit dem Bedürfnis nach Leben, Nahrung und Wohnung, Sicherheit und Freiheit, mit alltäglichen Hoffnungen und großen Lebensträumen.”
So entstanden die BachVespern
Die Idee zu dem Projekt BachVespern entstand 2004 - als kühner Plan des damaligen Landeskirchenmusikdirektors Michael Graf Münster (Kantor an St. Katharinen, Frankfurt-Innenstadt) und des Wiesbadener Propsteikantors Martin Lutz (Kantor in Wiesbaden-Schierstein): Alle Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs in Gottesdiensten zweier Hauptkirchen des Rhein-Main-Gebiets mit vorangestelltem Gesprächskonzert aufzuführen – zehnmal im Jahr, samstags in Frankfurt in St. Katharinen, sonntags in der Marktkirche Wiesbaden oder in der Christophoruskirche Schierstein. Der Gesamtzyklus in dieser Form gilt als weltweit einmalig.
Mehr als 200 Kantaten erklangen in den vergangenen 21 Jahren, getragen von einem festen Stamm professioneller Musikerinnen und Musiker in enger Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (HfMDK). Martin Lutz und Michael Graf Münster dirigierten oder spielten Continuo, ebenso wie ihre jeweiligen Nachfolger.
Jede BachVesper folgte immer einer festen Form: Das 20-minütige Gesprächskonzert wurden Informationen zur jeweiligen Kantate und ihren Hintergründen mit einer Schule des Hörens verbunden. Im anschließenden einstündigen Gottesdienst wurde die Kantate aufgeführt. Ihr Inhalt wurde in Liedern, Liturgie und Predigt aufgenommen.
„In der BachVesper kann man die Kantate wie eine Plastik von allen Seiten umschreiten“ sagt Michael Graf Münster. Wechselnde Predigende, unter anderem der für Rhein-Main zuständige Propst Oliver Albrecht oder auch die früheren Kirchenpräsidenten Peter Steinacker und Volker Jung, widmeten sich in Liturgie und Ansprache den jeweils im Zentrum stehenden Kantaten.
Mit dem Ruhestand von Lutz und Graf Münster wurde das Projekt BachVespern in beiden Städten nahtlos fortgesetzt: In Wiesbaden übernahm Clemens Bosselmann, in Frankfurt hat Klaus Eldert Müller sie bis zu seinem Weggang im September 2025 fortgeführt, beim Finale wirkte der langjährige Katharinenorganist Professor Martin Lücker mit.
Da die BachVespern in Wiesbaden nun enden, wird Propsteikantor Clemens Bosselmann künftig ein anderes Thema musikalisch in den Fokus rücken: die Motette. Wobei die Form der BachVespern, mit Gesprächskonzert und thematischem Gottesdienst, erhalten bleiben wird: „Das Konzept ist so gut durchdacht und wird vom Publikum so gut angenommen, dass wir es gerne beibehalten wollen“, so Bosselmann.
In Frankfurt werden die BachVespern an St. Katharinen weitergeführt – allerdings nicht mehr als Kooperationsprojekt mit Wiesbaden. Die für Kirchenmusmusik im Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach zuständige Prodekanin Amina Bruch-Cincar begrüßt, „dass es an so zentraler Stelle ein derartig hochkarätiges Angebot gibt, das Verkündigung in Wort und Musik mit dem Namen Johann Sebastian Bachs verbindet“. Der hervorragende Besuch der BachVespern habe deutlich gezeigt, „dass Kirche theologisch und kulturell viel zu bieten hat“.
Die Kantorei St. Katharinen und die Schiersteiner Kantorei sowie das Bach-Collegium Frankfurt-Wiesbaden, darin besonders der Oboist Manfred Bellmann und der Cellist Stephan Breith, prägten das Klangbild der mehr als 200 Aufführungen. Auch eine Generation junger Gesangssolistinnen und -solisten aus der Frankfurter Hochschule fand in den BachVespern eine Bühne.
Klassikfreunde, die nicht zum kirchlichen Milieu gehören, mit den BachVespern anzusprechen, ist gelungen. Über die zwei Jahrzehnte kamen monatlich in beiden Städten im Schnitt mehr als 200 Besucherinnen und Besucher.
Für viele, so Kirchenmusiker Martin Lutz, war die BachVesper ein fester Termin. Und auch für die Musiker war das Mammutprojekt ein riesiges Glück. „Eine der besten Ideen, die wir hatten“, sagt Lutz. „Sich so viele Jahre so regelmäßig mit Musik auf allerhöchstem Niveau zu beschäftigen, immer wieder neu zu spüren, was gemeint ist, wie man etwas gestaltet – das war für uns fordernd und beglückend zugleich.“
Michael Graf Münster resümiert: „Es geht um Kunst. Die BachVespern zeigten der Stadt, wozu die Kirche geistig in der Lage ist.“